Klaus Büstrin
»Keine Prinzipien, bloss keine Prinzipien«
Maurice Ravels Klavierkonzert in G-Dur
Klaus Büstrin
»Keine Prinzipien,
bloss keine Prinzipien«
Maurice Ravels
Klavierkonzert in G-Dur
Immer wieder hat man Maurice Ravel den Stempel des klangsinnlich-artifiziellen Koloristen impressionistischer Prägung aufgedrückt. Da half es auch nichts, dass der in Ciboure – auf der französischen Seite des Baskenlandes – geborene, aufgrund seiner in Madrid aufgewachsenen Mutter zeitlebens mit Spanien verbundene Franzose schon 1911 betont hatte:
„Ich bemühe mich vor allem, ganz unterschiedliche Sachen zu schreiben. Keine Prinzipien, bloß keine Prinzipien, die einem ein bestimmtes Prozedere aufzwingen.“
Immer wieder hat man Maurice Ravel den Stempel des klangsinnlich-artifiziellen Koloristen impressionistischer Prägung aufgedrückt. Da half es auch nichts, dass der in Ciboure – auf der französischen Seite des Baskenlandes – geborene, aufgrund seiner in Madrid aufgewachsenen Mutter zeitlebens mit Spanien verbundene Franzose schon 1911 betont hatte:
„Ich bemühe mich vor allem, ganz unterschiedliche Sachen zu schreiben. Keine Prinzipien, bloß keine Prinzipien, die einem ein bestimmtes Prozedere aufzwingen.“
Über welch enormes Spektrum an Ausdrucks- und Instrumentationskünsten Maurice Ravel verfügte, zeigt kurz nach dem komponierten „Bolero“ sein 1931 abgeschlossenes Konzert für Klavier und Orchester in G-Dur. „Aufgelockert und brillant“ sollte sein Klavierkonzert sein, sagte Ravel einmal, „und nicht auf Tiefe und dramatische Effekte abzielen. Man hat von bestimmten großen Klassikern behauptet, ihre Konzerte seien nicht ,für‘, sondern ,gegen‘ das Klavier geschrieben … Ich hatte eigentlich die Absicht, dieses Konzert mit ,Divertissement‘ zu betiteln. Dann aber meinte ich, dafür liege keine Notwendigkeit vor, weil eben der Titel ,Concerto‘ hinreichend deutlich sein dürfte.“
Wolfgang Amadeus Mozart und Camille Saint-Saëns waren dafür seine großen Vorbilder. Es ist ein vitales, luftiges und brillantes Werk entstanden, in dem sich französisches Raffinement, spanisches Kolorit und amerikanischer Jazz treffen. Formal folgt das Klavierkonzert der traditionellen Dreisätzigkeit des klassischen Konzerts, doch inhaltlich ist es ganz und gar als Kind seiner Zeit zu erkennen.
Ein Peitschenschlag markiert den Beginn des Kopfsatzes und bringt die Musik in Bewegung. Erst relativ spät, nachdem er die Piccoloflöte und die schmetternde Trompete mit Dreiklangsbrechungen und Glissandi umgarnt hat, darf die Pianistin sich solistisch in Szene setzen. Und auch mit ihrer Kadenz muss sie sich gedulden, einem Harfensolo und – außergewöhnlich genug – einer vom Horn angeführten Bläser-Kadenz den Vortritt lassen.
Dann ein harter Schnitt! Mit dem betörenden Adagio assai eröffnet sich, nicht nur in puncto Tempo, eine Gegenwelt zum Kopfsatz des Konzerts. Wie von weit her klingt der Sologesang des Klaviers herüber. Erst nach einer Ewigkeit gesellen sich über wunderbar zarten Streicherklängen Flöte, Oboe und Klarinette hinzu. Schließlich nimmt das Englischhorn wieder die Anfangsmelodie auf, und der Satz verliert sich im Pianissimo der gedämpften Streicher.
Erneut ein Schnitt. Als Pendant zum Peitschenschlag des Kopfsatzes eröffnen nun fünf scharfe, metrisch verzerrte Schläge das Presto, die wie das schräg-grelle Hauptthema des Satzes an Ravels Pariser Weggefährten und Freund Igor Strawinsky gemahnen. Voller Freude an Motorik und rhythmischer Verve rast dieses Finale mit Synkopen, Posaunenglissandi, aufjaulenden Holzbläsern, schmetternder Trompetenfanfare, knatterndem Holzblock und frech artikulierten Jazz-Klängen – die Ravel drei Jahre zuvor bei seiner Tournee durch die USA, bei der er innerhalb von vier Monaten rund 30 Konzerte als Pianist gab, kennengelernt hatte – dahin. In diesem Orchestertrubel kann sich der mit bravourösem Laufwerk gespickte Klavierpart vor allem ob seiner gehämmerten, hart akzentuierten Passagen behaupten. Der Satz endet wie er begonnen hat: mit fünf scharfen Fortissimo-Schlägen.
Klaus Büstrin
LUDWIG VAN BEETHOVENS 3. SINFONIE IN ES-DUR
Riesenhaft in ihrer Ausdehnung, der Klangkörper kaum größer als bei Mozart
Klaus Büstrin
LUDWIG VAN BEETHOVENS
3. SINFONIE IN ES-DUR
Riesenhaft in ihrer Ausdehnung, der Klangkörper kaum größer als bei Mozart
Eine Heldenfeier findet mit Ludwig van Beethovens „Dritter“ statt. In vielfacher Hinsicht war sie ein Epoche machendes Werk, monströs in ihren Ausmaßen und gewagt in ihrem Anspruch. Das Thema ist hier nicht nur das „Heldische“ an sich, die „Eroica“ wurde auch konkret inspiriert von Napoleon Bonaparte (1769-1821). Für Beethoven war der kleine Korse anfangs ein Held seiner Epoche. Schon in seiner Ballettmusik op. 43 „Die Geschöpfe des Prometheus“ (1800/1801) feierte er den Staatsmann allegorisch als einen Titanen, der Bildung, Kultur, Humanität und Selbstbestimmung bringt. Von diesem Ballett ist der Weg zum Opus 55 nicht weit.
Eine Heldenfeier findet mit Ludwig van Beethovens „Dritter“ statt. In vielfacher Hinsicht war sie ein Epoche machendes Werk, monströs in ihren Ausmaßen und gewagt in ihrem Anspruch. Das Thema ist hier nicht nur das „Heldische“ an sich, die „Eroica“ wurde auch konkret inspiriert von Napoleon Bonaparte (1769-1821). Für Beethoven war der kleine Korse anfangs ein Held seiner Epoche. Schon in seiner Ballettmusik op. 43 „Die Geschöpfe des Prometheus“ (1800/1801) feierte er den Staatsmann allegorisch als einen Titanen, der Bildung, Kultur, Humanität und Selbstbestimmung bringt. Von diesem Ballett ist der Weg zum Opus 55 nicht weit.
Die „Eroica“ (sie hat ihren Namen von der Bezeichnung auf der Druckausgabe erhalten, „Sinfonia eroica“) musste lange reifen. Eine erste Idee stammt wohl schon aus dem Jahr 1798. Erst in den Jahren 1802 bis 1804 aber ging Beethoven an die endgültige Ausarbeitung. Eine eher private Uraufführung fand am 4. August 1804 statt, im Palais des Fürsten Lobkowitz. Der offizielle Termin dafür folgte am 7. April 1805 am Theater an der Wien.
„Sinfonia grande intitolata Bonaparte“ lautete zunächst der Zusatz auf der Abschrift des Kopisten. Als die Sinfonie Nr. 3 dann 1806 in Druck ging, war von dieser Zueignung nichts mehr zu sehen. Ganz allgemein gehalten waren die Worte auf dem Deckblatt, in italienisch: „Heroische Sinfonie, komponiert auf das Andenken eines großen Mannes“.
Was war geschehen? Der Komponist Ferdinand Ries behauptete, Beethoven habe das ursprüngliche Titelblatt zerrissen. Seine Anekdote ist in die Musikgeschichte eingegangen: „Ich war der erste, der ihm die Nachricht brachte, Bonaparte habe sich zum Kaiser erklärt, worauf er in Wuth gerieth und ausrief: ‚Ist der auch nichts anders, wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize fröhnen […]!‘ Beethoven ging an den Tisch, fasste das Titelblatt oben an, riss es ganz durch und warf es auf die Erde“.
Ist auf diesen Bericht Verlass? Es gibt auch andere Vermutungen, was die Widmungsänderung betrifft, aber dass Beethoven von Napoleon tief enttäuscht war, davon kann man ausgehen.
Musikalisch sind Beethovens erste und zweite Sinfonie noch eher der klassischen Tradition verhaftet. Hält man die „Eroica“ dagegen, wird klar, welch gewaltigen Schritt Beethoven mit ihr vollführt. Die Sinfonie ist riesenhaft in ihrer Ausdehnung, das Orchester aber kaum größer als bei Mozart oder Haydn. Was an ihr ist „heroisch“? Sicher die Leidenschaft und Dramatik, mit der Beethoven seine Heldengeschichte erzählt. Seine musikalischen Themen sind jedoch eher von unheroischem Wuchs. Den zwei wuchtigen Akkordschlägen des Orchesters im eröffnenden Allegro con brio – ein Symbol von Entschlossenheit – folgt gleich eine Milderung dieser starken Geste, als würde jemand sagen: „Aber nun mal immer mit der Ruhe“. Von diesem Gegensatz lebt der ganze Satz, der einiges an Dramatik entfaltet. Auch musikalisch werden die ersten Takte zur Keimzelle des gesamten Geschehens. Aus ganz wenig macht Beethoven wieder äußerst viel, formt Varianten und Variationen. Der eben-mäßige Dreiertakt wird durch Synkopen – Akzente gegen den Taktschwerpunkt – zerklüftet und zerrissen. Der Schlussteil des Satzes, die Coda, erhält eine nie gekannte Bedeutung und Länge.
Zum Leben eines Helden gehört auch sein Tod. Mit der Marcia funebre, dem Trauermarsch, konnte Beethoven natürlich nicht konkret Napoleon gemeint haben. Bonaparte war zur Zeit der Komposition quicklebendig und eilte von Sieg zu Sieg. Man vermutet, dass Beethoven vielleicht anderen Kriegshelden ein Denkmal setzen wollte. Der Marsch könnte aber auch ein Spiegel seiner Stimmungslage sein.
Die erste ernsthafte Beschäftigung mit der „Eroica“ setzte 1802 ein. Es ist die Zeit der Niederschrift des „Heiligenstädter Testaments“. In diesem bedeutenden Dokument klagt Beethoven über seine stärker werdende Taubheit. Er äußert auch Selbstmordabsichten. Das gewaltige Ausdrucksspektrum, die leidenschaftlichen Höhepunkte, aber auch lichten, heiteren Passagen des Satzes wären damit erklärt.
Das Scherzo im Allegro vivace weiß von diesem Pathos nichts. Tanzstimmung kann nicht aufkommen, denn mit dem hohen Tempo dieses wirbelnden Perpetuum mobile kommt niemand mit. Im Mittelteil begegnen wir überraschender Weise romantischen Jagdklängen. Damit bläst Beethoven gleichsam zum monumentalen Finale. Eine fast unbeherrschte Geste des Orchesters scheint zunächst wieder den Blick auf den Helden lenken zu wollen. Doch es kommt anders, denn Beethoven greift jetzt auf ein schlichtes musikalisches Thema zurück, das er im bereits erwähnten Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“ verwendet hatte. Nun lernen wir auch die humorvolle Seite des Helden – und die Beethovens – kennen. Die entspannten Variationen über das prägnante Thema ergehen sich in spaßig-vorgetäuschtem Akademismus. Sie können volkstümlich sein, pastoral, verhalten-zart und wuchtig-blechern. Wird hier der Sieg eines Helden bejubelt? Wohl eher hört man das „Seid umschlungen, Millionen!“ aus der Sinfonie Nr. 9 (Uraufführung 1824) heraus. Sie wirft im grandiosen Finale der „Dritten“ bereits ihre Schatten voraus.
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